Der Wernerkult
Vernissage: 18. Juni um 15 Uhr im Kulturhaus Oberwesel mit einem Vortrag von Prof. Dr. Alexander Lohner
Während in Bacharach die Ausstellung zum Schicksal der Juden mit einer Veranschaulichung des religiösen Lebens gekoppelt ist, wird sie in Oberwesel mit einer Dokumentation zum christlichen Antijudaismus kombiniert. Der Märtyrerkult um den „Heiligen“ Werner von Oberwesel reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück und diente nicht zuletzt der Mobilisierung von Pogromen. Die Ritualmordlüge besagt, dass ein christlicher Junge 1287 von seinen jüdischen Brotherren in Oberwesel ermordet, „geschächtet“ und bei Bacharach verscharrt worden sei.
In den folgenden Jahrhunderten wurde die Legende durch Wunderberichte, Wallfahrtskirchen, Prozessionen, Reliquienverehrung und künstlerische Darstellungen zu einem Lokalkult verdichtet, der bis ins 20. Jahrhundert hinein lebendig blieb.
Der Wernerkult am Mittelrhein ist heute abgeschafft dank des jahrelangen geduldigen Einsatzes von Menschen, die sich im christlich-jüdischen Dialog vor Ort engagiert haben.
In 60 teils hochwertigen Exponaten wird der in Oberwesel bis 1971 bestehende antijüdische Kult um das angebliche Ritualmordopfer Werner von Oberwesel kontextualisiert. Dazu zählen Altarbilder, Statuen, Reliquiare, Bücher und Dokumente. Das wertvollste Exponat ist ein liturgischer Kelch von 1753 mit einer Ritualmorddarstellung.
WERNER von Oberwesel, ein unbekannter junger Tagelöhner, wurde im Frühjahr 1287 als christlicher Märtyrer in Bacharach bestattet. Seine übel zugerichtete Leiche war außerhalb des Ortes aufgefunden worden.
Der Pfarrer Heinrich von Crumbach nutzte dies zur Schaffung eines Heiligen, was dem Pfalzgrafen Ludwig II. gelegen kam. Die Juden im benachbarten Oberwesel (in Bacharach gab es keine mehr) wurden beschuldigt, den Jungen umgebracht zu haben. Ein aufgehetzter Mob massakrierte sie, um den vermeintlichen Ritualmord zu rächen.
Die Pogrome weiteten sich auf über zwanzig Orte an Rhein und Mosel sowie auf dem Hunsrück aus. Über dem Sarkophag des »Guten Werner« ließ der Pfalzgraf eine aufwändige Grabkapelle erbauen. Darin fand 1428 ein großer Untersuchungsprozess zur Sicherung des durch Bullen des Papstes Martin V. gefährdeten Kultes statt. Den Prozess hatte bei einem Besuch der päpstliche Legat Kardinal Giordano Orsini veranlasst. Pfalzgraf Ludwig III. und Pastor Winand von Steeg ließen 211 Zeugen befragen. Die Heiligsprechung blieb allerdings aus.
Dennoch zog der Kult in Bacharach bis zu seiner Unterbindung in der Reformation zahlreiche Pilger an. Im katholischen Oberwesel hielt er sich und blühte um 1727 erneut auf. 1742 wurde »Sankt Werner« zum Trierer Bistumsheiligen erklärt.
1548 gelangte eine Fingerreliquie nach Besançon. Das bildete den Auftakt für die Verehrung Werners als Schutzpatron der Winzer, hier »St. Vernier« bzw. »St. Verny« genannt, in der Franche-Comté, der Auvergne und in Burgund, sie dauert bis ins 21. Jahrhundert an. 1621 hoben unter der spanischen Besatzung jesuitische Feldgeistliche in Bacharach die Gebeine und nahmen sie mit in die Spanischen Niederlande, in Lille verliert sich ihre Spur. In zahllosen Heiligenlegenden wurde die Wernergeschichte jahrhundertelang variantenreich tradiert und nährte den christlichen Antijudaismus.
Die Ritualmordlüge war längst mit der Verleumdung der Hostienschändung kombiniert, was die NS-Propaganda, u. a. im »Stürmer«, mehrfach aufgriff.
Im Kontext des II. Vatikanischen Konzils erreichte Erwin Iserloh 1963 die Tilgung des Kultes. Ferdinand Pauly unternahm 1964 den Versuch, den Kult zu retten, indem er den Jungen zum Opfer eines Sexualmordes erklärte.
Die letzte Oberweseler Wernerprozession fand 1971 statt. 1997 wurde die Ruine der Bacharacher Wernerkapelle als Mahnmal gestaltet, 2008 das Wernerpatrozinium der Oberweseler Hospitalkapelle beendet. Am Mittelrhein finden sich, ebenso wie im Südosten Frankreichs, zahlreiche Darstellungen des angeblichen Märtyrers in Kirchen und Kapellen.
→ Fotos / Dokumente zum Wernerkult.
Für die Vernissage in Oberwesel hält Hon.-Prof. Dr. Dr. Alexander Lohner einen Vortrag über den christlichen Antijudaismus.
Dr. Walter Karbach
Standardwerk zum lokalen Wernerkult von Dr. Walter Karbach